Die englische Wikipedia führt eine stetig aktualisierte Liste der populärsten Tweets auf X, ehemals Twitter. Aktuell rangiert hier der Tweet der Familie des an Darmkrebs gestorbenen amerikanischen Schauspielers Chadwick Bosemann ganz oben. Seine Angehörigen veröffentlichten seine Krebserkrankung über seinen Account nach seinem Tod. Dieser Tweet erhielt 6.5 Millionen Likes. An zweiter Stelle findet sich der Tweet von Elon Musk, welchen er absetzte, nachdem er Twitter gekauft und in X umbenannt hatte:

Den Coca-Cola-Konzern zu kaufen, um wieder Extrakte der Koka-Pflanze in die Rezeptur aufzunehmen, ist natürlich nur ein Scherz, bewegte aber die Menschen scheinbar sehr. Es wurde 4.3 Millionen Mal geliked, 774.000 Mal geteilt und 172.000 Mal kommentiert (Stand: März 2025).
An dritter Stelle folgt ein Post von Barack Obama, an vierter einer von Greta Thunberg, an fünfter einer von Joe Biden.
Plattformen wie Instagram, TikTok oder YouTube funktionieren nach einem Algorithmus. Dieser priorisiert Inhalte, die besonders viel Interaktion erhalten (Likes, Shares, Kommentare) und zeigt die Inhalte noch mehr Menschen. Das bedeutet: Je mehr Likes, Shares und Kommentare ein Post bekommt, desto eher wird er anderen User:innen angezeigt – ein Schneeballeffekt entsteht.
Aber warum gehen Posts viral? Wie funktioniert das aus technologischer Perspektive? Was sind die sozialen Dynamiken dahinter? Und was genau macht diese Posts aus, die sich dermassen schnell und exponentiell verbreiten?
Perspektiven im Überblick

Gesellschaftlich-
kulturelle Perspektive
Beziehungspflege mit Digitalen Medien, Wirkung der persönlichen Online-Aktivitäten bewusst gestalten.

Anwendungs-
orientierte Perspektive
Fertigkeiten im Umgang mit Kommunikations- und Kollaborationswerkzeugen erlangen.
WarmUp
Welche Tik Tok Accounts sind gerade die populärsten? Schau dir einmal die Liste auf Wikipedia an.
❔ Welche Accounts sind die aktuell populärsten?
❔ Welche hättest auch du geliked und warum?
❔ Gibt es Posts oder Personen, die du eher in dieser Liste erwartet hättest?
❔ Welche Merkmale muss ein populärer Account deiner Meinung nach haben?

Technologische
Perspektive
Das Wissen um die Funktionsweise von Algorithmen (MI.2.3) hilft, die Dynamiken in Sozialen Medien besser zu verstehen.
«Viral gehen» bedeutet, dass in kürzester Zeit die Kennzahlen wie Aufrufe, Likes, Kommentare oder Re-Posts in die Höhe schiessen. Wie bei der Verbreitung eines Virus geschieht das exponentiell: Je mehr den Post «re-posten», also nochmals teilen, desto mehr sehen den Beitrag und hinterlassen wiederum ein «Like» und/oder teilen den Beitrag wiederum. Dies endet dann in etwa so wie mit dem Reis auf dem Schachbrett seines Erfinders: Er bat den König um 1 Reiskorn für das erste Schachfeld, welches er pro Schachfeld immer verdoppeln sollte: 1, 2, 4, 8, 16, 32 usw. Wird ein Beitrag also 64-mal von jeweils doppelt so vielen Personen geliked, erhielte er 18.5 Trillionen Likes.

Das hat aber noch kein Post geschafft, was daran liegt, dass die jeweils durch Likes vergrösserte Zielgruppe immer noch eine Schnittmenge mit der bestehenden Rezipientengruppe hat – sprich: Man steckt sich nicht zweimal mit dem gleichen Virus an.
Neben klaren Parametern wie Shares, Likes und Kommentare, die den Algorithmus der Plattform dazu bringen, den Post in deine Timeline zu spülen, verwenden die Konzerne auch lernende Algorithmen, sogenannte künstliche neuronale Netze, die sich selbst erweitern können. Diese Systeme erkennen selbstständig Muster, wie zum Beispiel bestimmte Korrelationen zwischen Alter und Musikgeschmack und sorgen dann dafür, dass du bestimmte Musik mehr als andere angezeigt bekommst (unsupervised learning) (Tulodziecki 2021).

Gesellschaftlich-kulturelle Perspektive
Virale Posts können Menschen und Themen bekannt machen – ihnen aber auch schaden. Ein viraler Fail, ein peinliches Video oder ein Shitstorm, kann unangenehme Folgen haben. Auch private Inhalte können plötzlich weit verbreitet werden – ohne dass man es wollte.
Schauen wir uns die Funktionen von Medien für Kinder und Jugendliche an, zeigt sich die Problematik. Medien bedienen verschiedene Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen, geben insbesondere Orientierung und unterstützen die Identitätsbildung. Maschinen ohne moralischen Kompass, ohne Verständnis von Recht und Unrecht, sorgen dafür, dass bestimmte Posts viral gehen. Die Perspektive, die Schülerinnen und Schüler auf Social Media sehen, ist also ein Rechenergebnis basierend auf dem Nutzungsverhalten des Kindes oder des Jugendlichen.
Die Zielgruppe eines Posts wählt der zugrundeliegende Algorithmus der Plattform aus. Zwar ist dieser ein gut gehütetes Geheimnis der jeweiligen Tech-Firmen, trotzdem lassen sich aber erfahrungsbasiert plattformspezifische Rückschlüsse ziehen, welche Kriterien den Algorithmus triggern (Metricool):
- Facebook: Besonders persönliche, mit Emotionen gespickte Botschaften verbreiten sich gut. Posts, die zu Kommentaren und Diskussionen aufrufen, werden scheinbar besonders rege verbreitet.
- Instagram: Der Algorithmus von Insta wird den Post besonders boosten, der zusammen mit Emojis, Hashtags und Standortangaben geteilt wird. Hier sind besonders schöne Fotos und sogenannte Reels (kurze Videos) von konkreten Dingen oder Personen beliebt. Es werden die Videos bevorzugt, die komplett oder mehrfach angeschaut werden. Politische Videos, solche mit Wasserzeichen oder schlechter Auflösung werden dagegen eher nicht durch den Algorithmus weiterempfohlen.
- TikTok: Auf TikTok finden sich unter anderem Videos von Challenges (also Mutproben) oder Comedy. Besonders häufig werden Videos angezeigt, die von vielen Menschen zu Ende geschaut werden, die mehrfach angeschaut werden und die Hashtags und Untertitel haben.
Aufgrund dessen, dass ein Computersystem darüber entscheidet, was ich sehe und was nicht, bewegen wir uns immer in einer Filterblase. Beispielsweise entscheidet der Algorithmus aufgrund meines Alters, meiner Interessen und meiner Herkunft bzw. Sprache, was mir angezeigt wird. Alles, was mich vermeintlich nicht interessiert, bleibt mir verborgen. Man schafft es kaum, diesen Blasen zu entkommen, wenn man nicht gezielt in den sozialen Medien nach anderen Hashtags sucht. Komme ich neu auf eine Plattform, werden mir insbesondere die Accounts zum Folgen vorgeschlagen, die ohnehin schon viele Follower haben. Eine Horizonterweiterung oder Abgrenzung zu den Interessen derer, denen ich folge, ist kaum möglich.
Anwendungsorientierte Perspektive
Das Bearbeiten von Bildern, das Nutzen von Filtern und das Schneiden von Videos fördert eine ganze Reihe von Anwendungskompetenzen im Bereich «Handhabung» und «Produktion». Diese Kompetenzen bringen einige SuS bereits mit und können diese in den Unterricht einbringen.
Soziale Netzwerke sind weitreichende Präsentationsplattformen und durch Likes und Kommentare können Formen der Kommunikation und Kollaboration erlernt werden.
Weiterhin kann es darum gehen, verschiedene Informationsquellen kennenzulernen und diese miteinander zu vergleichen. Soziale Medien, Newsplattformen und analoge Medien können hier im Rahmen einer Recherche miteinander in Relation gesetzt werden.
Auch hier bietet Digibasics eine Vielzahl an Tools und Tipps:
Tools zur Online-Kooperation Kontakte online pflegen
Digibasics, Modul «Online-Kommunikation & Online-Kooperation»
Gesamtblick
Versteht man erstmal, wie soziale Netzwerke funktionieren und welche fixen oder erlernten Kriterien dazu führen, dass Posts viral gehen, werden einem auch die Dynamik und die Folgen klarer.
Besonders populäre Accounts werden immer populärer. Haltungen, Einstellungen, Schönheitsideale und andere Merkmale nähern sich immer mehr diesen populären Accounts an. Die Filterblase wird kleiner und immer mehr Menschen stecken in dieser Blase.
Schule und Elternhaus haben also die Aufgabe, für diese Dynamiken zu sensibilisieren und den Kindern Strategien mitzugeben, die ein Ausbrechen aus diesen Blasen möglich machen.
BY Konsortium MIA21
Dieser Beitrag ist lizenziert unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz (CC BY 4.0).
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