
Der Schweizer Medienwissenschaftler Christian Doelker hat mit seinem «Modell der 3 Wirklichkeiten» die Gesetzmässigkeit jedes Medienberichts beschrieben. Seine Ausführungen bilden die unabdingbare Grundlage, um Medienberichte kompetent aufnehmen zu können.
Egal ob Text, Ton, Bild oder Video, Berichte lassen uns Ereignisse «aus der ganzen Welt» sehr zeitnah erfahren und ermöglichen so umfassende Kenntnisse von Ereignissen. Oft sprechen wir bei Medien auch vom «Fenster zur Welt», weil Ereignisse weltweit in unser «Wohnzimmer» kommen. Sämtliche Medienberichte sind dabei der Gesetzmässigkeit von Doelkers Modell unterworfen.
Doelker unterscheidet drei Wirklichkeiten, nämlich die reale (von ihm «primäre» genannt), die mediale und die mentale (Doelker wählt dafür «subjektiv wahrgenommene mediale») Wirklichkeit.
Die Realität oder primäre Wirklichkeit ist der Ort, wo sich etwas ereignet. Was irgendwo geschieht, kann man nur in der ersten Wirklichkeit erleben, wenn man gleichzeitig vor Ort ist.
Von allen Ereignissen der ganzen Welt treffen Medienschaffende eine Auswahl, man kann nicht «alles» vermitteln. Von den meisten Ereignissen, die auf der Welt passieren, erfahren wir deshalb nichts, weil sie nicht in die Auswahl aufgenommen werden.
Medienberichte, welche in die Auswahl kommen, stellen überdies eine Verkürzung eines Ereignisses sowohl in Text als auch Ton, Bild und Video dar. In der Schweizer Tagesschau wird beispielsweise der Bericht einer Klimademo auf einige Minuten oder sogar Sekunden gekürzt. Autor:innen versuchen dabei, das zu erwähnen, was ihnen am wichtigsten scheint.
Diese Auswahl von Ereignissen und der Ausschnitt eines Ereignisses nennt Doelker mediale Wirklichkeit.
Die dritte Wirklichkeit schliesslich beschreibt das, was wir von einem Medienbericht aufnehmen. Je nach unserer bisherigen Erfahrung nehmen wir von einem Bericht nicht dasselbe wahr: von der erwähnten Klimademo Jugendlicher mit anschliessenden Ausschreitungen bleibt einigen möglicherweise, dass es Jugendliche waren, welche demonstrierten. Andere wiederum setzen die Ausschreitungen ins Zentrum ihrer Wahrnehmung. Wieder andere überlegen sich vielleicht, ob die Erde sich wirklich erwärmt oder ob Jugendliche überreagieren. Schliesslich könnte bei einigen auch der Polizeieinsatz im Zentrum ihrer Wahrnehmung stehen, der wiederum Einzelnen zu hart oder gerade zu lasch erscheint.
Von einem Ereignis irgendwo auf der Welt wird also allenfalls gar nicht berichtet. Wenn berichtet wird, wird der Beitrag prinzipiell nur einen Teil zeigen. Dabei gestalten Autor:innen bei der Erstellung des Berichtes, sie gewichten, lassen weg. Was letztlich bei uns ankommt, ist individuell unterschiedlich: Autor:innen haben darauf keinen Einfluss.
Dieses Modell der drei Wirklichkeiten von Doelker bildet auch in der Schule die Grundlage jeglicher Medienbildung. Schüler:innen müssen wissen, dass ein Unterschied besteht zwischen «kontrollierten» Medienberichten, wie das bei Qualitätsmedien (in der Schweiz beispielsweise SRF, Tagesanzeiger, NZZ und viele weitere) der Fall ist oder ob – wie in sozialen Medien – Berichte ohne jegliche Kontrolle und Recherchieren auf deren Wahrheitsgehalt veröffentlicht werden können.
Einen weiteren wichtigen Aspekt bilden Falschnachrichten. Bei diesen versuchen Autor:innen, bewusst Fakten falsch darzustellen. Mit den heutigen technischen Möglichkeiten sind technisch perfekte «Fakes» möglich.
Im Unterricht ist es zentral, dass Schüler:innen diese Zusammenhänge verstehen und an Beispielen erfahren. Möglich ist es zum Beispiel, dass ein:e Schüler:in zwei anderen von ihrem Wochenende erzählt und die anderen Schüler:innen nach einer gewissen Zeit (z.B. ½ Stunde) stichwortartig festhalten, wie das Wochenende ausgesehen hat. Das erlebte Wochenende ist dabei die erste Wirklichkeit, das Erzählen davon die zweite und das, was den anderen Schüler:innen bleibt, die dritte Wirklichkeit.
BY Konsortium MIA21
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